Unsere Gemeinde
Ökumenisches Jugendprojekt Mahnmal Gurs
1. Geschichtlicher Hintergrund
Schon kurz nach der Ernennung des NSDAP-Vorsitzenden Adolf Hitler zum Reichskanzler im Januar 1933 machten sich die Nationalsozialisten daran, in Deutschland eine Diktatur zu errichten. Bereits wenige Monate später hatten sie ihr Ziel mit Hilfe des ‚Ermächtigungsgesetzes‘ und der ‚Gleichschaltung‘, also der erzwungenen einheitlichen Ausrichtung aller politischen und gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen nach den Richtlinien der nationalsozialistischen Ideologie, erreicht. Nahezu alle Lebensbereiche hatte das nationalsozialistische Regime binnen kürzester Zeit unter seine Kontrolle gebracht. Alle Andersdenkenden wurden zu Feinden erklärt. So begann eine systematische Verfolgung politischer Gegner vom linken Parteienspektrum bis hinein ins konservativ-christliche Lager. Zu Hauptfeinden wurden jedoch die Juden erklärt, denen man einen schädlichen Einfluss auf die kulturtragende weiße, sog. arische Rasse unterstellte. Mit den Nürnberger Rassengesetzen institutionalisierten die Nationalsozialisten ihre extrem antisemitische und rassistische Ideologie auf juristischer Grundlage und begannen mit der Ausgrenzung und Entrechtung, physischen Verfolgung und Enteignung der Juden und der in Deutschland lebenden Sinti und Roma.
Am 22. Oktober 1940 wurde per Geheimbefehl der Gauleiter von Baden und der Saarpfalz die Deportation aller transportfähigen Juden in Baden, der Pfalz und des Saarlandes in das südfranzösische „Camp de Gurs“, dem größten Internierungslager in Frankreich, angeordnet und binnen weniger Stunden durchgeführt. Ziel dieser Aktion war es, die südwestdeutschen Gebiete als erste im Reich rasch und vollends „judenfrei“ zu machen. Unter den 6538 Deportierten befanden sich auch alle noch in Gemmingen und Stebbach lebenden Juden.
Dies sind aus Gemmingen
- Hermann Oppenheimer, geb. 06.07.1858 (Schicksal ungeklärt)
- Berta Ottenheimer, geb. Kahn, geb. 11.10.1864 (✡ Auschwitz)
- Hedwig Wertheimer, geb. 24.08.1882 (✡ Auschwitz)
- Rickchen Kahn, geb. 21.05.1875 (Schicksal ungeklärt)
- Klara Kaufmann, geb. Oppenheimer, geb. 07.06.1886 (✡ Auschwitz)
- Ida Oppenheimer, geb. 22.01.1893 ( ✡ Auschwitz)
- Babette Maier, geb. Oppenheimer, geb. 10.12.1895 (✡ Auschwitz)
und aus Stebbach
- Josefine Ottenheimer, geb. 16.02.1870 (✡ Mâcon, 5. April 1945)
- Jette Eisemann, geb. 12.08.1867 (Schicksal ungeklärt)
Quellen:
1) Verzeichnis der am 22. Oktober 1940 aus Baden ausgewiesenen Juden
2) Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945 (Bundesarchiv)
Auf der Wannsee-Konferenz im Januar 1942 fassten 15 hochrangige Vertreter der Regierung und von SS-Behörden Beschlüsse zur Organisation der bereits begonnenen systematischen Ausrottung der Juden in Europa. Das nationalsozialistische Vorgehen radikalisierte sich in den militärisch besetzten Gebieten durch die Ghettoisierung der jüdischen Bevölkerung, durch Deportationen und die Internierung in Konzentrationslagern unter gänzlich unmenschlichen Bedingungen. Der vom NS-Regime propagierte Antisemitismus gipfelte in der als Holocaust oder Schoa bezeichneten Ermordung von 6 bis 6,5 Millionen Juden, darunter auch Gemminger und Stebbacher Juden, die im Oktober 1940 zunächst nach Gurs in Frankreich und von dort aus 1942 in Konzentrations- und Vernichtungslager im Osten Europas deportiert worden waren. Nur von der Stebbacher Jüdin Josefine Ottenheimer ist bekannt, dass sie die Deportation und die Internierung in Gurs überlebte und am 5. April 1945 in der französischen Stadt Mâcon verstarb.
Die jüdische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem nennt für Gemmingen 63 und für Stebbach weitere 6 Namen von jüdischen Frauen und Männern, die in unseren beiden Heimatgemeinden geboren wurden, später in anderen Städten und Gemeinden lebten, und dem Rassenwahn der Nationalsozialisten zum Opfer fielen.
2. Ökumenisches Jugendprojekt Mahnmal in Neckarzimmern
Die unmenschlichen Grausamkeiten gegenüber Menschen dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Um dies zu verhindern, startete das „Ökumenische Jugendprojekt Mahnmal“ im Oktober 2004 mit Grundsteinlegung in Neckarzimmern. Das Mahnmal besteht aus einem in den Boden eingelassenen 25 mal 25 m großen Davidstern, auf welchem von jeder der 138 betroffenen Gemeinden ein Gedenkstein stehen soll. Ziel ist es, dass Jugendliche aus den Gemeinden zwei identische Gedenksteine erarbeiten, wobei einer in Neckarzimmern und der zweite in der eigenen Gemeinde aufgestellt werden soll. Durch die Arbeit der Jugendlichen soll die Erinnerung wachgehalten werden. Aber gleichzeitig sollen Wachsamkeit und Zivilcourage gefördert werden, damit Minderheiten nie wieder verfolgt werden. Würde und Freiheit sollen für jeden Menschen unantastbar sein und bleiben.
3. Beitrag der Gemeinde Gemmingen mit Ortsteil Stebbach
Die Gemeinde Gemmingen ist sich der Verantwortung bewusst, aktiv dem Vergessen der Verbrechen des NS-Regimes entgegenzuwirken sowie die jetzigen und zukünftigen Generationen vor den Gefahren rassistischer und extremistischer Ideologien zu mahnen. Aus diesem Grund haben Gemminger und Stebbacher Jugendliche mit großer Unterstützung der Gemeinde und vieler ehrenamtlicher Helfer das „Jugendprojekt Mahnmal“ in Angriff genommen. Besondere Betroffenheit und große Anteilnahme erwuchs aus den Gedanken an das unvorstellbare Leid der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die im Oktober 1940 aus unseren beiden Gemeinden deportiert wurden. Der Gedenkstein steht für sie und alle von den Nationalsozialisten im Sinne ihrer Rassenideologie ermordeten Menschen.
Der massive Sockel des Mahnmals wurde aus lokalem Sandstein gefertigt. Auf der Vorderseite sind die Ortsnamen Gemmingen und Stebbach angebracht. Der Sockel steht für die beiden Ortsgemeinden mit ihren Bewohnern. Die Juden wurden durch die Deportation nach Gurs aus dieser Gemeinschaft herausgerissen. Dies wird in Form eines Davidsterns verdeutlicht, der aus der Vorderseite des Steins herausgearbeitet ist. In der Draufsicht des Mahnmals sind Schienen zu sehen – sie symbolisieren die Deportation. Auf den Schienen liegt der herausgerissene, vergrößerte und zerbrochene Davidstern – er versinnbildlicht den Schmerz und das Leid der Opfer. Nach zunächst ebenem Verlauf stürzen die Schienen an der Seite des Steins steil hinab und münden in einem aus Stahl gefertigten, blind endenden Tunnel – Symbol eines Verbrennungsofens eines Krematoriums. Der Leidensweg von Millionen Juden begann in der Heimat. Die Deportation und die Internierung im Lager Gurs, dem „Vorhof zur Hölle“, bedeutete eine Zwischenstation auf diesem Weg in die Konzentrations- und Vernichtungslager im Osten Europas.
Die Initiative für ein Engagement beim Mahnmalprojekt ging im Spätsommer 2013 von Herrn Pfarrer Christian Mono aus, der die Idee an Herrn Bürgermeister Timo Wolf herantrug. Anschließend fanden Vorbesprechungen statt, um dann mit 50 Teilnehmern beim ersten offiziellen Treffen im Mai 2014 im Ratssaal der Gemeinde Gemmingen das Projekt zu starten. Im Oktober wurde dann ein Workshop zur ersten Ideenfindung im evangelischen Gemeindehaus veranstaltet. Im weiteren Verlauf konnte der erste Entwurf immer weiter verfeinert und mit fachlicher Unterstützung von Herrn Hinrich Zürn in dessen Atelier vollständig ausgearbeitet werden. Der fertige Entwurf wurde dem Gemeinderat vorgestellt und fand dort breite Zustimmung. Damit verbunden war die Freigabe der Finanzierung. Im Frühjahr 2015 konnte die Herstellung der Gedenksteine in die Wege geleitet werden. Parallel dazu wurden nach einer Ortsbegehung durch Gemeinderatsbeschluss die Standorte der Gedenksteine für Gemmingen und Stebbach ausgewählt. Im Oktober 2015 konnte dann bereits der erste von drei Steinen im Mahnmal Neckarzimmern feierlich aufgestellt werden. Auf der Zielgeraden folgten die letzten Vorbereitungen der zwei Denkmal-Standorte und die Fertigstellung der zwei weiteren Mahnmal-Steine. Den Abschluss des Projekts bildete dann die Einweihungsfeier am 10. April 2016.
Teilnehmer und Förderer des Jugendprojekts Mahnmal waren:
- Herr Pfarrer Christian Mono, Ev. Kirchengemeinde
- Herr Pfarrer Manfred Tschacher, Kath. Kirchengemeinde
- Herr Pastor Harold Wild, Ev.-Freik. Gemeinde
- Herr Hinrich Zürn, freischaffender Künstler
- Herr Martin Renner, Jugendreferent Gemeinde Gemmingen
- Jugendliche des Jugendkreises der Ev.-Freik. Gemeinde
- Herr Hanns-Henning Christofel, Fertigung und Montage der Schienen und Schwellen
- Herr Wolfgang Ehret, Ortschronist Stebbach und Gemmingen
- Herr Jörg Kreß, Lehrer der Wolf-von-Gemmingen-Schule
- Frau Selina Schröder, Schulsozialarbeiterin der Wolf-von-Gemmingen-Schule
- Frau Elisabeth Hilbert, Vorsitzende „Verein Jüdisches Leben im Kraichgau“
- Hauptamtliche Mitarbeiter der Gemeinde
- Herr Bürgermeister Timo Wolf
- Gemeinderat der Gemeinde Gemmingen.